Die Anwendbarkeit des Rechts auf ein faires Verfahren gemäß Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention („Artikel 6“) war kürzlich Gegenstand einer Entscheidung der Obersten Disziplinarkommission der Sanitätskommission (s. Entscheidung No. 03/17 vom 15. Februar 2017).

In dem betreffenden Fall hatten Zahnärzte gegen Sie verfügte Strafmaßnahmen, insbesondere das Verbot des Praktizierens als Zahnarzt, angefochten, indem sie darauf verwiesen, die Maßnahmen der Sanitätskommission seien unfair und voreingenommen und daher die Verfahren nicht rechtmäßig verlaufen. Daraufhin führe die Oberste Disziplinarkommission eine Überprüfung dahingehend durch, ob das Recht auf ein faires Anhörungsverfahren in einem Disziplinarverfahren anwendbar sei.

Gemäß Artikel 6, Paragraph 1, hat jede Person „ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.“ Paragraph 2 schreibt die grundsätzliche Unschuldsvermutung fest, während Paragraph 3 eine „Liste genauerer Anwendungen des grundsätzlichen Prinzips wie in Paragraph 1 festgelegt beinhaltet“ (ECHR, Meftah et al. v. France, 26. Juli 2002, Petitionen Nos. 32911/96, 5237/97 und 34595/97).

Somit sind die in Artikel 6 garantierten Grundrechte auf zivil- und strafrechtliche Verfahren anwendbar; ihre Anwendbarkeit in Disziplinarverfahren war im Rahmen innerstaatlicher Rechtsvorschriften jedoch bislang nicht bestätigt worden.

Hierbei befand die Oberste Disziplinarkommission, dass die Verwaltungsbehörde, die mit einem Disziplinarverfahren betraut ist, zwar „formaljuristisch nicht an Artikel 6 gebunden“, sie jedoch sehr wohl verpflichtet sei „grundlegende juristische Prinzipien, wie das Recht auf ein faires Verfahren, das Recht auf eine unvoreingenommene Anhörung und das Prinzip der Unparteilichkeit auch ohne einen ausdrücklichen Gesetzestext dahingehend einzuhalten“. Die Formulierung „formaljuristisch nicht an Artikel 6 gebunden“ lehnt sich u.E. an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an, indem sie vorsieht, dass nicht grundsätzlich alle Disziplinarverfahren Artikel 6 unterliegen, sondern dass hierfür gewisse Voraussetzungen vorliegen müssen (vgl. Le compte, Van Leuven and De Meyere v. Belgique vom 23. Juni 1981, Petitionen Nos. 6878/75, 7238/75). In diesen Fällen von Disziplinarverfahren von Sanitätskommissionen gegen Mediziner, betonte das Gericht die beiden Kriterien, die für die Anwendbarkeit von Artikel 6 in Zivilfahren ausschlaggebend sind, nämlich (i) das Vorliegen eines Disputs, der sich (ii) auf ein bürgerliches Recht oder eine zivilrechtliche Verpflichtung bezieht, und stellte fest, dass Artikel 6 anwendbar ist.

Im vorliegenden Fall streicht die Oberste Disziplinarkommission die “Unerbittlichkeit bei der Beweisbeschaffung und -Aufnahme” und das offensichtliche Bemühen seitens der Sanitätskommission „eine anfangs leere Akte zu füllen“, obwohl jahrelange Untersuchungen die strittigen Vorwürfe nicht hatten belegen können, hervor. Aufgrund dieser Umstände befindet sie das Vorgehen der Sanitätskommission für „untragbar und unwürdig“. Die Anwendbarkeit der in Artikel 6 garantierten Grundrechte auf diesen Fall aufgrund des ihr vorgetragenen Sachverhalts bestätigend, stellt die Oberste Disziplinarkommission ein „unfaires und parteiliches Verhalten seitens der Sanitätskommission“ insbesondere bzgl. Artikel 2 des Gesetzes vom 8. Juni 1988 über die Sanitätskommission, wonach Aufgabe es ihre Aufgabe ist, die “Ehrenhaftigkeit des Berufsstandes zu bewahren“, fest. Entsprechend erklärt sie die Eingabe der Petenten für begründet und das Verfahren für ungültig und erloschen.