Eines ist offensichtlich: die Zahl der Steuerstreitigkeiten nimmt in Luxemburg weiter zu.[1]
In diesem Zusammenhang möchten wir Ihnen im Folgenden eine Reihe von interessanten Urteilen vorstellen, die jedoch nicht alle umfassen.
- Das Besteuerungsverfahren im Rahmen einer Unternehmensspaltung
Bisher vertraten die Steuerverwaltung (Administration des Contributions Directes oder „ACD“) und die Marktpraxis in Bezug auf die Spaltung von Kapitalgesellschaften den Standpunkt, einen bei der Spaltung entdeckten potenziellen stillen Vermögenszuwachs bei der gespaltenen Gesellschaft zu erklären und dieser dann einen Steuerbescheid auszustellen. Gleichzeitig war der ACD der Ansicht, dass die im Spaltungsplan enthaltenen Bestimmungen Vereinbarungen seien, die zwischen Privatpersonen bestünden, die ihm nicht entgegengehalten werden könnten, insbesondere in Bezug auf die Zuweisung einer Steuerschuld, die sich aus der Aufdeckung latenter Vermögenszuwächse infolge der Spaltung ergebe, die nicht die Bedingungen für die Steuerneutralität erfüllten.
Allerdings entschied das Oberverwaltungsgericht zugunsten des Steuerpflichtigen, indem es feststellte, dass eine ohne Liquidation aufgelöste Gesellschaft, auch wenn die Steuerschuld von der gespaltenen Gesellschaft stammt, nicht mehr Adressat eines Steuerbescheids sein kann, der daher an den rechtmäßigen Nachfolger zu senden ist, dem die Steuerschuld im Spaltungsplan zugewiesen wurde. In diesem Zusammenhang hat das Gericht somit anerkannt, dass die Bestimmungen des Spaltungsplans aufgrund der Vorschriften über das Spaltungsverfahren im Gesetz vom 10. August 1915 über Handelsgesellschaften in seiner geänderten Fassung gegenüber jedem Dritten, einschließlich der Steuerbehörden, durchsetzbar sind.
Das Gericht befand, dass
„[…] das Gesetz eine Rechtswirkung gegenüber Dritten und die Verteilung der Verbindlichkeiten der gespaltenen Gesellschaft, die im Spaltungsplan enthalten ist, anerkennt […], ab dem Wirksamkeitsdatum der Spaltung ist die Gesellschaft, an die die Schuldverbindlichkeit durch diesen Plan abgetreten wurde, als alleiniger Schuldner dieser Schuld anzusehen.“
Nur wenn ein Drittgläubiger keine Bedienung der Schuld durch den rechtmäßigen Nachfolger erhält, kann er seine Forderung an die anderen aus der Spaltung hervorgegangenen Rechtsträger richten.
Daher besteht auch ein Interesse daran, im Spaltungsplan die Zurechnung der Aktiva und Passiva der gespaltenen Gesellschaft eindeutig festzulegen, um jeden Zweifel in dieser Frage zu vermeiden. Ist die Zuordnung eines Teils der Verbindlichkeiten im Spaltungsplan nicht eindeutig geregelt, kann ein Gläubiger seine Forderung an alle aus der Spaltung hervorgehenden Rechtsträger richten.
- Keine Aussetzung der Verjährung gegenüber Dritten, die nicht Partei in einem Gerichtsverfahren sind
Die ACD hatte an eine Gesellschaft, die aus einer Spaltung hervorgegangen war, Steuerbescheide ausgestellt, für die die Verjährungsfrist eindeutig abgelaufen war.
Als der Steuerpflichtige die Frage der Verjährung ansprach, argumentierte die ACD für eine sogenannte Aussetzung der Verjährung während des Verfahrens vor den Verwaltungsgerichten in Bezug auf die ersten bereits ausgestellten Steuerbescheide, die an die aufgespaltene Gesellschaft gerichtet waren und in dem vorangegangenen Verfahren vom Verwaltungsgericht aufgehoben wurden.
Die beiden Instanzen des Verwaltungsgerichts haben in diesem Zusammenhang entschieden, dass eine solche aufschiebende Wirkung in keinem Fall gegenüber einem Unternehmen eintreten kann, das nicht an dem Verfahren im Zusammenhang mit dem vorherigen Rechtsstreit beteiligt war.
- Die Verpflichtung des ACD, den Steuerzahler vor der Ausstellung von Steuerbescheiden zu informieren
In einem Fall wurde der Antrag auf Befreiung von Veräußerungsgewinnen nach dem Verkauf eines Gebäudes, das von den Verkäufern als Hauptwohnsitz genutzt wurde, von der ACD abgelehnt.
Allerdings sieht die Abgabenordnung (AO) vor, dass der ACD den Steuerpflichtigen vor der Ausstellung von Steuerbescheiden über alle Umstände informieren muss, die ihn veranlassen, erheblich von der Steuererklärung abzuweichen.
Diese Vorschriften dienen also dazu, dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit zu geben, sich zu den vom ACD in Betracht gezogenen Anpassungen zu äußern.
Im vorliegenden Fall hatte der ACD dem Steuerpflichtigen einen Steuerbescheid zugestellt, in dem der Gewinn aus dem Verkauf als steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn behandelt wurde, ohne dies dem Steuerpflichtigen vorher mitgeteilt zu haben.
Das Verwaltungsgericht wandte die AO an und ordnete die Aufhebung der betreffenden Steuerbescheide an, da sie gegen die AO und insbesondere gegen die Widerspruchsrechte und den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens verstießen.
- Die Aussetzung der Vollstreckung in Steuerangelegenheiten
Steuerrechtlich gilt der Grundsatz, dass ein Rechtsbehelf, sei es vor der Direktion der Steuerverwaltung oder vor Gericht, die Verpflichtung zur Zahlung der geforderten Steuerbeträge nicht aussetzt.
Von diesem Grundsatz gibt es nur eine Ausnahme, nämlich die Beantragung und Gewährung eines Vollstreckungsaufschubs. Die Vollstreckung kann nur dann ausgesetzt werden, wenn zum einen die Vollstreckung der angefochtenen Entscheidung dem Antragsteller einen ernsthaften und endgültigen Schaden zufügen würde und zum anderen die Gründe, die für die Anfechtung der Entscheidung angeführt werden, ernst zu nehmen sind.
Allerdings ist die Erlangung einer solchen Aussetzung schwierig und kommt nur selten vor.
Jedoch konnte in einem Fall nachgewiesen werden, dass die sofortige Zahlung der geforderten Steuerschuld aufgrund ihres Umfangs nicht nur einen schweren, sondern auch einen endgültigen Schaden verursachen würde, da eine solche Zahlung die finanzielle Lage des Steuerpflichtigen so stark beeinträchtigt hätte, dass sie seinen Konkurs verursacht hätte.
Darüber hinaus konnte die Begründetheit der Argumente des Steuerpflichtigen nachgewiesen werden, so dass der Vorsitzende des Verwaltungsgerichts zu dem Schluss kommen konnte, dass die Klage in der Hauptsache solide Erfolgsaussichten hatte.
Der Vorsitzende des Verwaltungsgerichts gewährte daher die Aussetzung der Vollstreckung.
Der Steueranwalt im Mittelpunkt der aktuellen Entwicklungen im Steuerrecht
Die genannten Entscheidungen verdeutlichen die Rolle des Steueranwalts in Luxemburg.
Die zunehmend strengeren und vielfältigeren Steuervorschriften auf internationaler und europäischer Ebene mit weitreichenden Auswirkungen auf das nationale Steuerrecht sind Faktoren, durch die die geltenden Vorschriften komplexer werden und die zu Rechtsunsicherheiten führen, die wiederum ein erhöhtes Risiko von Steuerstreitigkeiten mit sich bringen.
Seit etwa zehn Jahren sind Akronyme wie BEPS, ATAD 1, 2 und 3, DAC 6, GAAR, um nur einige zu nennen, für alle, die sich in irgendeiner Weise mit Steuern beschäftigen, ein Muss geworden.
Gleichzeitig ist eine steigende Zahl direkter und indirekter Steuerprozesse in so unterschiedlichen Bereichen wie Garantieerklärungen, Steuerinformationsaustausch, verdeckte Gewinnausschüttung und zunehmend auch Rechtsmissbrauch sowie Inkassoprozesse zu beobachten. Außerdem sind Zwangsvollstreckungen durch die ACD sowie strafrechtliche Verfolgungen keine Seltenheit mehr.
Das Bild des Steueranwalts, der gemütlich hinter seinem Schreibtisch sitzt, entspricht immer weniger der Realität des Marktes. Der Steueranwalt des Jahres 2022 kann es sich nicht mehr leisten, nur beratend tätig zu sein, sondern muss seine Robe (wieder) anziehen und vor Verwaltungs-, Zivil- oder sogar Strafgerichten auf nationaler oder europäischer Ebene auftreten, um den Steuerpflichtigen zu vertreten.
Dies setzt fundierte Kenntnisse der materiellen Steuervorschriften voraus, aber auch die perfekte Beherrschung der nationalen und sogar der vertraglichen Vorschriften, deren Einhaltung in einem Rechtsstaat von entscheidender Bedeutung sind, denn sie sind nicht mehr und nicht weniger die Garantie der grundsätzlichen Schutzrechte der Steuerpflichtigen.
Das Risikomanagement für die Beilegung direkter und indirekter Steuerstreitigkeiten muss daher heute im Mittelpunkt des Managements von Steuerangelegenheiten durch die Leiter der Steuer-, Finanz- und Rechnungsabteilung von Unternehmen stehen.
Sie müssen in ihrem Tagesgeschäft die Früherkennung möglicher Rückfragen seitens der Steuerbehörden vorsehen und daher eine geeignete und vorschriftsmäßige Dokumentation führen, um Steuerstreitigkeiten von vornherein zu verhindern.
So sieht Artikel 59 des Gesetzes vom 21. Juni 1999 über die Verfahrensvorschriften vor den Verwaltungsgerichten in seiner geänderten Fassung Folgendes vor:
„Die Beweislast für die Tatsachen, die die Steuerpflicht auslösen, liegt bei der Verwaltung, die Beweislast für die Tatsachen, die von der Steuerpflicht befreien oder die Steuerquote senken, liegt beim Steuerzahler.“
Steueranwälte werden also weiterhin eine aktive Rolle bei der Beratung ihrer Mandanten bei Investitions- oder Umstrukturierungsprojekten spielen, aber sie werden darauf achten, ihre Mandanten nicht nur zu beraten, was sie „tun“, sondern auch, was sie „nicht tun“ sollten.
Die in der Praxis erworbene Erfahrung bei der vorgerichtlichen Beilegung von Steuerstreitigkeiten sowie die Kenntnis der Rechtsprechung aufgrund der täglichen Prozesspraxis sind für Steueranwälte ein wertvolles Instrument für die wirksame Beilegung von Steuerstreitigkeiten.
Von:
- Mario DI STEFANO, Managing Partner – Avocat à la Cour, DSM Avocats à la Cour
- Alex PHAM, Partner Tax – Avocat à la Cour, DSM Avocats à la Cour
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[1] Siehe Punkt 16, „Activité contentieuse“, im Tätigkeitsbericht der ACD für 2021 (rapport d’activités ACD 2021), https://impotsdirects.public.lu/content/dam/acd/fr/profil/rapports/Rapport-d-activite-ACD-2021.pdf